Ready for Tomorrow? - Legal Tech und der Wandel im Arbeitsmarkt
Die Rechtsbranche befindet sich im Wandel, und das nicht erst seit gestern. ChatGPT 4 hat letztes Jahr die Uniform Bar Exam (UBE) bestanden. Relativiert wird dieses Ereignis aber durch den diesjährigen Skandal eines unerfahrenen Anwalts in Vancouver, der von ChatGPT halluzinierte Fake-Gerichtsurteile in einem Prozess geltend machen wollte, was auch die Risiken dieses Wandels verdeutlicht.
Als Konsequenz dieses rasanten Fortschritts zeigt sich eine gewisse Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt. Neue Technologien sind in der Lage, Routineaufgaben zu automatisieren und zu verbessern. Sie verschaffen jenen, die sie beherrschen, einen klaren Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die das Potenzial von AI und Legal Tech noch nicht vollständig verstanden haben, stehen zunehmend unter Druck, sich anzupassen. Denn wie der Fall in Vancouver zeigt, ist Unwissenheit auf diesem Gebiet gefährlich. Dies eröffnet aber auch einmalige Chancen für diejenigen, die bereit sind, diese Wissenslücken zu füllen.
Auf vielen Branchen-Events wird zudem das traditionelle Modell des Stundenlohns für Anwälte infrage gestellt, da durch Automatisierung Mandate viel schneller abgeschlossen werden können. Ich sehe dies jedoch nicht als Problem des Stundenansatzes, sondern als Zeichen veralteter Arbeitsweisen. Statt Stunden zu verkaufen, könnte Beratung in Form von Abonnements oder wiederverwendbaren Programmen angeboten werden.
Wer befürchtet, durch die gesteigerte Effizienz der Technologie weniger zu verdienen, unterschätzt die Chancen, die sich durch diese Entwicklungen eröffnen. Neue Berufsbilder entstehen, die rechtliche und technische Fähigkeiten kombinieren – doch nur wenige sind diesen Berufen gewachsen.
In diesem Blogpost werde ich diese Berufsentwicklung anhand des Beispiels des Berufs “Legal Engineer” darstellen. Dazu habe ich Marc Feldmann, der als Legal Engineer bei der Laux Lawyers AG tätig ist, für euch interviewt und seine Antworten verkürzt und angepasst in einem QnA zusammengestellt. (Vermerk: Es handelt sich dabei nicht um genauen Zitate, sondern sinngemässe Auffassungen der Antworten, die ich im Interview erhalten habe.)
Was ist ein Legal Engineer?
Symbolisch für die Funktion als Lückenfüller ist der Beruf des Legal Engineer einzigartig, da in jeder Kanzlei bzw. in jedem Unternehmen eine unterschiedliche Wissenslücke zu füllen ist. Es gibt daher keine einheitliche Definition für den Beruf Legal Engineer.
“Generell lässt sich aber sagen, dass ein Legal Engineer juristische Arbeitsprozesse digitalisiert, automatisiert und verbessert.“ – Marc Feldmann
Welche Tätigkeiten übernimmt ein Legal Engineer?
Der Legal Engineer bildet vereint Wissen über Recht, Technik und BWL in einer Person. Sein Tätigkeitsfeld ist je nach Bedürfnis seines Arbeitgebers unterschiedlich. Zur Veranschaulichung habe ich aber einige Grundtätigkeiten von Marc Feldmann versucht zu generalisieren:
- Projektleitung: Ein Legal Engineer leitet Projekte zur Automatisierung repetitiver Aufgaben und zur Standardisierung von Prozessen. Ziel ist es, menschliche Fehler zu reduzieren und Abläufe effizienter zu gestalten.
- Assessment von Software und Methoden: Legal Engineers beraten ihr Unternehmen dabei, welche technischen Lösungen umsetzbar sind und wie diese in bestehende Prozesse integriert werden können. Er bewertet Softwarelösungen und Methoden auf ihre Eignung hin, um sie rechtlich und technisch bestmöglich zu nutzen.
- Klientenberatung: Legal Engineers sind in der Lage, komplexe Sachverhalte zu verstehen und zu erklären, was oft ein externes, technisches Gutachten ersetzt. Ihre Beratung hilft dabei, die technische und rechtliche Machbarkeit zu vereinen.
- Planung und Umsetzung von Auftragsprojekten: Sie leiten sowohl interne als auch externe Projekte und übernehmen die gesamte Planung und Durchführung.
- IT-Sicherheit: Durch ihr gutes technisches Verständnis, sind Legal Engineers in der Lage erste Einschätzungen zur IT-Sicherheit abzugeben und die technischen Details des Sachverhalts zu verstehen, was bessere Reaktionen ermöglicht. Sie helfen dabei, dass alle rechtlichen und technischen Anforderungen in Bezug auf IT-Sicherheit erfüllt werden.
- Know-How-Management: Eine weitere wichtige Aufgabe ist, das Wissen innerhalb des Unternehmens zugänglich zu machen, sodass es effizienter genutzt und wiedergefunden werden kann.
- Make-or-Buy-Entscheidungen: Legal Engineers unterstützen bei der Entscheidung, ob eine technische Lösung intern entwickelt oder externe Produkte eingekauft werden sollen. Sie können dabei durch ihr technisches und juristisches Fachwissen mittels fundierter Analysen und Empfehlungen den Entscheidungsprozess optimal begleiten.
Wie wird man ein Legal Engineer?
Die Zukunft zeigt uns, dass rechtliche und technische Fähigkeiten immer mehr verschmelzen. Für diejenigen, die sich auf dieses neue Terrain begeben, eröffnen sich spannende Perspektiven.
Marc hat sich sein technisches Wissen durch viel Berufserfahrung in IT-Projekten angeeignet. Sein juristisches Handwerk hat er jedoch an der Uni erlernt, was er als unentbehrlich ansieht, da das juristische Wissen dort am besten vermittelt wird. Zudem hat Marc Wirtschaftsinformatik studiert, obwohl er betont, dass ein Informatikstudium keine Voraussetzung für die Tätigkeit als Legal Engineer ist.
„Wichtig ist vor allem das juristische Verständnis und Fachwissen, das bereits im Bachelor gut vermittelt wird. Ein Masterabschluss bietet jedoch klare Vorteile auf dem Arbeitsmarkt.“-Marc Feldmann
Diese Aussage leuchtet ein, zumal man als Legal Engineer vorwiegend bei Anwaltskanzleien angestellt ist, wo ein Master mehr imponiert als ein Bachelor.
Technisches Wissen ist heute meist open source, also frei zugänglich. Man muss also kein separates Studium absolvieren, um die nötigen Fähigkeiten zu erlangen. Es gibt zahlreiche Wege, sich weiterzubilden – durch Workshops, Onlinekurse oder praktische Erfahrung. Marc ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man durch aktives Netzwerken und kontinuierliches Lernen den Weg zum Legal Engineer einschlagen kann. Wer mehr darüber erfahren möchte, wie man sich im Bereich Legal Tech weiterbildet, den verweise ich auf meine Blogposts Legal Tech im Studium und Legal Tech 101.
Oft sind HR-Abteilungen ohne ausreichende Kenntnisse über die spezifischen Anforderungen und Fähigkeiten eines Legal Engineers dazwischengeschaltet. Daher ist es wichtig, Veranstaltungen zu besuchen und aktiv daran teilzunehmen, um zu netzwerken. Diese Möglichkeiten sind gross und zugänglich, und man sollte versuchen, sich und seine Fähigkeiten effektiv zu verkaufen.
Es gilt das Prinzip: Build Your Own Job. Bau dir dein Skillset so zusammen, dass du einem Unternehmen den grösstmöglichen Mehrwert bieten kannst. Recht und Technik sind kompatibel, und wer beide Bereiche miteinander verbinden kann, wird in der neuen Arbeitswelt von morgen besonders gefragt sein.
Blick in die Zukunft:
Die Zukunft zeigt uns, dass rechtliche und technische Fähigkeiten immer mehr verschmelzen. Für diejenigen, die sich auf dieses neue Terrain begeben, eröffnen sich spannende Perspektiven und neue, einzigartige Berufsbilder wie der Legal Engineer. In einer Arbeitswelt, die sich rasant verändert und in der Technologie eine immer grössere Rolle spielt, bieten unsichere Zeiten aussergewöhnliche Chancen. Wer sich rechtzeitig die nötigen Fähigkeiten aneignet, kann von diesem Wandel profitieren.
Es gilt dabei das Prinzip: Build Your Own Job. Bau dir dein Skillset so zusammen, dass du einem Unternehmen den grösstmöglichen Mehrwert bieten kannst. Recht und Technik sind kompatibel, und wer beide Bereiche erfolgreich miteinander verbinden kann, wird in der neuen Arbeitswelt von morgen besonders gefragt sein.
Die Tendenz in der Rechtsbranche geht zunehmend von reiner Automatisierung hin zur Transformation. Richard Susskind beschreibt diesen Wandel als entscheidend für die zukünftige Praxis: Nicht nur Prozesse zu automatisieren, sondern auch neue Wege des Denkens und Handelns zu entwickeln, wird die Branche revolutionieren. Aber das ist ein Thema für sich.
30.10.2024 Jasmin Günter